Etappe VI/VII USA/Zurück nach Europa
Heute beginnt die letzte Etappe unserer Reise. Es geht zurück nach Europa. Das ist ein wenig schade, andererseits aber auch sehr schön. Wir lassen die USA hinter uns. Menschen, die jeden Tag einer viel härteren sozialen Umgebung ausgesetzt sind, aber auch mehr persönliche Freiheit haben.
Die kundenorientiert sind, aber auch viel stärker wirtschaftlich denken. Als wir zu früh bei unserer Wirtin ankamen und artig die Schuhe vor der Tür ausgezogen haben (Schild befolgt), war ihre etwas schroffe Reaktion, dass wir das nicht machen müssten, weil Check-in ohnehin erst nach 15.00 Uhr sei. Ja, ok. Wir wollten nur gern schon die Rucksäcke abstellen. Dann hat sie kurz überlegt – ok, wir könnten die schon ins Zimmer stellen, wenn wir sofort und in cash bezahlen. Könnten den Schlüssel mitnehmen und zu beliebiger Zeit wiederkommen. Als ich ihr dann die druckfrischen Dollar-Scheine in die Hand gab, haben ihre Augen geleuchtet und sie hat das Knistern des Geldes fast physisch genossen. Und von da an hat sie uns mit einem Wortschwall eingedeckt – wo wir einkaufen, Essen gehen könnten, … Da wir aus D kämen, bräuchte sie uns ja nicht zu erklären, wie man Müll trennt. Das müsse sie nur mit ihrer lateinamerikanischen Kundschaft machen. Und dann erzählt sie noch von ihrem Collie, der ihre sechs (!) Katzen wie eine Schafherde hütet, eine Katze adoptiert hat und solche Sachen. Na, denke ich, man bloß nicht erzählen, dass du Jäger bist…
Aber zurück zum Abschied. Irgendwie ist es eine schöne Fügung, dass wir New York als letzte Stadt auf unserer Reise besuchen. Nachdem wir die Welt von Europa über Asien nach Nordamerika durchfahren haben, treffen wir Menschen aus all diesen Teilen der Welt in genau dieser Stadt. Quasi eine kleine Zusammenfassung unserer Reise. Vielleicht ist New York weltweit die einzige wirklich multikulturelle Stadt. (Singapur, Hongkong?)
Für uns ist sie nun der Ausgangspunkt des letzten großen Abenteuers. Per Schiff nach Europa. Für den Pazifik habe ich leider keine Option gefunden, die zeitlich gepasst hätte. Es gab ein einziges Schiff, dass von Japan Richtung USA fuhr – dort hätten wir aber schon in Singapur zusteigen und mehr als 30 Tage auf einer Kreuzfahrt mit Passagieren verbringen müssen, bei denen ich vermutlich den Altersdurchschnitt deutlich gesenkt hätte. DAS können wir immer noch machen, wenn wir alt genug sind.
Und Frachtschiffreisen gibt es nicht mehr. Wohl, weil die Hafenbehörden keine Lust auf die Kontrollen beim Ein- uns Ausschiffen haben.
Wir werden uns hier nun vorerst nicht mehr melden, da die Mobilfunknetze bis Southampton dünn und die Satellitennetze exorbitant teuer sind. Aber in einer Woche hoffe ich, ein paar Eindrücke vom Atlantik und unserem Bötchen hochladen zu können.
PS Wir hatten die günstigste Kabine gebucht und haben ein Upgrade bekommen.
(Mehr Bilder gibt's erstmal nicht.)
Etappe VII Zurück nach Europa
Als wir von der Gangway ins Schiff treten, sind wir in einer völlig anderen Welt. Alles festlich dekoriert, jede Menge helfendes Personal, Treppen mit dicken Teppichen wie in großen Hotels. Wir laufen weiter zu unserer Kabine, öffnen die Tür und sind mal wieder positiv überrascht. Gebucht hatte ich eine kleine innenliegende Kabine ohne Garantie für eines der Decks. Bekommen haben wir eine größere mit Meerblick. Behindertengerecht. Da hier überall auf das Alter geschaut wird, hat die Alterskombination 58/21 vielleicht zur Annahme geführt, dass ein älterer gebrechlicher Herr eine junge Dame zur Betreuung dabeihat. Uns ist’s egal, wir werfen uns aufs Bett und freuen uns auf sieben komfortable Nächte. In den letzten Ländern unserer Tour (Südkorea, Japan, USA) waren die Zimmer oft klein oder Toilette/Bad übern Flur. Und in New York gab’s neben klein und Sanitär übern Flur auch noch Hitzewallungen der Heizung. Das hier ist eine andere Welt. Und die erkunden wir dann mal.
Für den Kabinen-Service haben wir übrigens Christian. Das ist natürlich kein Deutscher und auch kein Brite oder Amerikaner. Christian heißt ziemlich sicher ganz anders und ist Asiate. Aber für die hauptsächlich englischsprachigen Passagiere sind alle Fremdsprachen ein Problem, also passen sich die Dienstleister an und jeder hat neben seinem eigentlichen Namen noch einen englischen. Verrückt, aber so ist die Welt.
Beim Entdeckungs-Rundgang gehen uns mittlerweile ziemlich anspruchslos Gewordenen die Augen über. Voll ausgestattetes Fitness-Centre, Bibliothek, mehrere Pools und Whirlpools, Pub, Casino, Kino, Hundezwinger, Planetarium, kleine Passagier-Waschsalons, kleine und größere Räume zum entspannten Sitzen.
Und Restaurants. Wir kommen an einem größeren Buffet vorbei und essen schnell nen Happen – es wird gerade ab- und aufgeräumt. Ne gute Stunde später kommen wir wieder vorbei, es ist komplett neu fürs Abendessen angerichtet. So ein Arrangement wird für uns ziemlich sicher zum Problem. Man kann de facto ab 06.00 Uhr bis 00.30 Uhr immer irgendwo was essen. Und das ist nett angerichtet, lädt zum Zugreifen an und streift durch die verschiedenen Küchen der Welt. Da Marta und ich beide gern und neugierig essen, müssen wir irgendeine Strategie entwickeln oder brutale Disziplin an den Tag legen. Wir nehmen uns vor, morgens Sport zu machen und damit das Ticket für ein klein wenig mehr an Essen über den Tag zu lösen. Mal schauen…
Wenn ich mich an die Berichte meiner Eltern erinnere, haben sie immer Anzug/Krawatte und Abendkleid für solche Reisen eingepackt. Das war bei uns natürlich völlig unmöglich. Wer schleppt schon nen knittersicheren Koffer durch die Karakum und sucht in usbekischen Zugabteilen, japanischen Superschnell-Zügen oder südkoreanischen Minizimmern nach Platz für so’n Monstrum – nur, um am Ende der Reise sechs Tage dinnerfertig gekleidet zu sein. Es stellt sich heraus, dass in den wesentlichen Restaurants ab 18.00 Uhr tatsächlich mindestens Hemd und Stoffhose getragen werden müssen. Aber es gibt inzwischen offenbar auch genug andere Kundschaft, die es entspannter angehen will. Und denen gehört dann obiges Buffet-Restaurant, ein netter Lounge-Bereich, Pub, Afternoon Tea, Casino und Poolbar. Sprich, wir sind versorgt.
Ne kleine ängstliche Rückversicherung hatte ich ehrlicherweise aber eingebaut. Am Black Friday ein Hemd für 18 USD gekauft – mit Button-down-Kragen, den sonst nur Juristen tragen. Haifischkragen war nicht im Schlussverkauf und unser Dollar-Budget ohnehin schon strapaziert. Außerdem hätte meine Wanderhose noch die argumentative Verwandlung zur Stoffhose gewinnen müssen. Also – verhungern werden wir ganz sicher nicht. Und auch mit unserer eingeschränkten Klamottenausstattung werden wir nicht auffallen.
Aufgefallen sind wir an anderer Stelle aber schon. Offenbar gehört es sich, dass man nach dem Betreten des Schiffes bis zur ersten Durchsage des Käpt’n einmal zu seinen Notfallsammelplatz läuft. Stand irgendwo klein auf nem Zettel, den wir beim Einchecken bekommen haben. Komplett übersehen und mit anderen Dingen beschäftigt – Restaurantbesuch zum Beispiel. Tja, und in modernen Zeiten bekommt das so’ne Besatzung natürlich mit. An den Sammelplätzen stand Bordpersonal und man musste seine Bordkarte zum Scannen vorzeigen. Jedenfalls haben wir um Mitternacht eine Einladung zum Nachsitzen um 9.30 Uhr im Postfach neben der Tür. Wir hatten aber schon ne andere Einladung für neue Gäste zur Vorstellung des Schiffs und des Reise-Programms um 9.00 Uhr. Beides an komplett entgegengesetzten Enden des Schiffes. Dazwischen liegen unentspannte dreihundert Meter. Der Stress fängt an. Und wird noch größer, weil wir ja Sport machen wollten. Der müsste dann bis 09.00 Uhr fertig sein, am besten inklusive Frühstück.
Abends setzen wir uns bei einem Pub-Quiz dazu. Kategorien Film, Geschichte, Zahlen, Sport und Flaggen. Film schaffen wir nix, Geschichte und Sport ein bisschen, bei Flaggen hatten wir auf mehr gehofft (eins hab ich vergeigt, weil ich Martas richtige Antwort schlicht nicht gehört habe), nur bei Zahlen gab’s den Durchmarsch. Aber selbst das ist schwierig, wenn man den Begriff „stumpfer Winkel“ in Englisch aufschreiben soll (obtuse angle). Im Leben nicht gehört – und ich kann Sachen wie Unterlegscheibe oder Blütenblatt übersetzen😉. Hat trotzdem Spaß gemacht.
Etappe VII Zurück nach Europa
Die Nacht war störungsfrei. Keine weggezogene Decke, keine unangenehme Hitze oder Kälte. Sanftes Ruhen unter langer warmer Decke auf komfortabler Matratze. Bin zwar ein paarmal wach geworden, aber das war vermutlich das Unterbewusstsein, dass mich immer mal prüfen lassen wollte, ob alles nur ein Traum ist… War es nicht, aber der Morgen kommt trotzdem unaufhaltsam näher und mit ihm der innere Schweinehund, der nicht zum Sport will.
Um halb sieben werde ich wach, rufe mir als Erstes die Bilder vom Buffet in den Kopf, insbesondere vom Nachtischbuffet, drehe mich seufzend in die Senkrechte, ziehe mich leise an und guck‘ nochmal auf den Plan, wo das Fitness-Centre liegt. Auf dem Gang ist selbst um diese Zeit schon Bewegung. Und auch die Maschinen sind zu einem Drittel schon belegt. Ich mache ein paar Dehnungsübungen und suche mir einen Cross-Trainer. Hatte ich auch mal. Klicke durch die Programme und entscheide mich fürs Intervallprogramm. Experte ist ab Stufe 16, Anfänger geht bis 6, da sollte 12 doch einigermaßen passen. Nach vier Minuten ignoriere ich mein Selbstbild und schalte auf 10, drei Minuten später auf 8. Gegen Ende wird die Maschine von allein auf 7 runterschalten. Egal, nach vierzig Minuten sind knapp 500kcal zusätzlicher Nachtisch erarbeitet. Der erste Tag hat doch schon mal gut angefangen. Beim Weg zurück merke ich, dass die hintere Oberschenkelmuskulatur nicht so gut fand, was gerade gelaufen ist. Oh, oh, oh. Mal schauen, ob es einen zweiten Sporttag gibt.
Als ich zurückkomme, schläft Marta noch. Als ich in die Dusche gehe, ist sie unterwegs für ihre erste Runde. Sie ist pünktlich zur 9.00-Uhr-Einladung fertig und hat sich auch gute 400kcal extra erarbeitet.
Wir absolvieren unsere beiden Termine und gehen noch schnell zum Frühstück. Bloss nicht zu viel essen und die gerade erarbeiteten Zusatzkalorien verbrauchen. Danach geht jeder seiner Wege – Marta kümmert sich um die allerletzte Wäsche auf unserer Reise, ich setz mich an den Laptop und schreib meine Beobachtungen runter. Wir verabreden uns für 15.30 Uhr beim British Afternoon Tea.
Punkt 12.00 Uhr gibt’s wieder ne Durchsage vom Kapitän. Die Uhr wird eine Stunde vorgestellt. Und ich habe richtig Hunger. Schleiche mich zum Buffet und hole mir ein paar Happen, nebenan in einer der Lounges nochmal Schinkenvariationen mit Grissini. Werde trotzdem müde. Ganz offensichtlich ist die reduzierte Energiezufuhr nach dem Sport nicht so wirklich schlau. Ach, dann gibt’s halt n Mittagsschläfchen. In der Kabine sehe ich, dass Marta bereits vor mir so gedacht hat. Schläft selig unter ihrer Decke.
Mein Wecker holt uns dann zum Afternoon Tea ab. Wir laufen die 200 Meter und stellen fest, dass offenbar das ganze Schiff diese Britische Tradition erleben möchte. Rappelvoll, der Saal. Nach etwas Warten werden wir zu zwei Amerikanerinnen an den Tisch gesetzt. Bekommen frischen Tee und dann – der eigentliche Grund fürs Kommen – Scones mit clotted cream. Ein spezielles englisches Gebäck mit richtig fetter fester Sahne. Traumhaft. Außerdem kann man noch kleine Sandwich-Häppchen und drei, vier andere Gebäckvariationen probieren. Es gibt Augenblicke im Leben, die sind einfach nur gut.
Im Anschluss holen wir uns draußen ein wenig frische Luft und stellen unser Abendprogramm zusammen. Dabei stellen wir fest, dass Gala-Tag ist, dh bei fast allen Veranstaltungen dunkler Anzug, Frack oder ähnliches vorgeschrieben sind. Ich geh um 21.00 Uhr ins Kino. Der Tag ist wahnsinnig schnell vorbei. Obwohl draußen nix als Wasser und Wolken zu sehen ist.
Etappe VII Zurück nach Europa
5. Dezember
Gestern nach dem Kino hatte ich noch schnell beim Nachtimbiss vorbeigeschaut. Da gibt’s dann bis 00.30 Uhr ein paar Kleinigkeiten von süß bis herzhaft vom Abendbuffet. Im selben Raum ist morgens ab 06.00 Uhr dann schon wieder das allererste kleine Frühstück aufgebaut. Mache mir dort einen Tee und laufe ein wenig umher, um vorm Sport etwas wacher und schon mal leicht aufgewärmt zu sein. Um 08.00 Uhr hab ich dann meine zusätzlichen 450kcal in der Tasche, Marta eine halbe Stunde später auch.
Diesmal holen wir uns ein umfangreicheres Frühstück und setzen uns im Anschluss in die Sonne an Deck. 11°C, ruhiges Meer, bepolsterter Liegestuhl, sehr entspanntes Leben. Marta hört Musik, ich kann endlich mal was lesen. Um 12.00 Uhr wird die Uhr vorgestellt, danach gehen wir wieder zu nem Quiz. Die Quizthemen sind sehr aufs englische Publikum zugeschnitten. Und auf älteres und viel älteres. Bei Musik ging’s um Titel aus den 80ern. Bei Berühmtheiten geht’s um Clark Gable, Brigitte Bardot, Gina Lollobrigida usw. Wir versuchen trotzdem immer mal unser Glück.
Nachmittags ist wieder Tea Time. Nett. Dann springen wir nochmal in einen der Whirlpools an Deck. Coole Nummer, aber beim Rauskommen ist der Wind dann doch reichlich unangenehm.
Und, wir haben den zweiten Tag, schon setzt hier und da leichte Meckerei ein. Wir, na, in dem Fall wohl erstmal nur ich, sind schon komisch. Eigentlich ist alles super, und doch… Wollten abends Pizza essen gehen, dafür gibt’s n kleines Restaurant mit feiner Tischdecke und Bedienung. Eigentlich waren wir wieder auf Buffett eingestellt, aber bedienen lassen ist ja auch nicht schlecht. Und dann warten wir gute vierzig Minuten auf unsere Pizza. Vierzig Minuten, während derer vielleicht sechs bis acht neue Gäste gekommen sind. Warum braucht man so lange für zwei einfache Pizzen? In New York hat das in schlichten Pizzerien vom Bestellen bis zum Bekommen maximal zehn Minuten gedauert.
Die Pizza war dann allerdings lecker. Auf dem Rückweg zum nächsten Quiz sind wir schnell im Standard-Restaurant vorbei und wollten uns noch einen kleinen dunklen Cookie-Nachtisch holen, den wir aus den Augenwinkeln beim Marsch ins Pizza-Restaurant schon gesehen hatten. Leider nicht mehr zu bekommen. Heute Abend also Doppelfehler. Und zu guter letzt ist dann der Apfel (fürs gute Gewissen nach all der Völlerei) innen auch schon braun. Na, das mit der satten Maus und dem bitteren Mehl stimmt wohl.
Wir lesen noch ein wenig und gehen ins heute etwas schaukelnde Bett.
6. Dezember
Passend zum Nikolaus gibt’s eine kleine Überraschung: ordentlich Wind, Windstärke 8 bis 9. An den Treppen werden „hygiene bags“ (Spucktüten) ausgelegt. Trotzdem ist es erstaunlich, wie wenig man auf dem Schiff merkt. Die Liegestühle bleiben an Deck stehen und auch im Restaurant läuft der Betrieb völlig normal weiter. Da fallen keine Gläser um oder ähnliches. Schon bei der Ankunft ist mir aufgefallen, dass – im Gegensatz zu unseren Fähren zwischen China, Südkorea und Japan – nichts angeschraubt ist. Kein Tisch, kein Stuhl, nix.
Beim Sport allerdings merkt man den Sturm dann doch. Auf meinem Cross-Trainer lasse ich das freihändige Treten sein (man kippt zur Seite) und bei den Liegestützen wundere ich mich, dass beim Rausdrücken der Weg manchmal länger wird und beim Absenken das Schiff schnell bedrohlich nah kommt.
Im Anschluss ans Frühstück müssen wir beim Britischen Immigration Officer vorbei. Unsere Zimmerkarte wird vom Bordpersonal gescannt, ein Polizist wirft einen kurzen Blick auf die Pässe. Das war (wohl) die Passkontrolle. Diesmal haben wir den Termin mitbekommen und werden nicht separat zum Spezialtermin eingeladen.
Ansonsten verläuft der Tag mit Müßiggang. Lesen, Planetarium, schlafen, essen. Und am späten Nachmittag ist wieder Quiz, endlich mal eines, das nicht Musik und/oder Film abfragt. Und diesmal gewinnen wir, obwohl wir bei einer von zwölf Fragen nicht einmal verstehen, worum es geht. Bekommen eine Flasche Rotwein als Preis. Immerhin.
Später schauen wir noch beim Bingo vorbei. Wenigstens einmal wollte ich das spielen. Wir kaufen ein Ticket für 10 USD und kreuzen artig die Zahlen ab, die aufgerufen werden. Und kommen nicht mal in die Nähe eines der Gewinne von 50 bis 250 USD.
Zurück in der Kabine stellen wir fest, dass die Duschhalterung, die gestern abgebrochen ist, heute ohne Kommentar von unserer Seite bereits wieder repariert ist. Hier wird quasi geräuschlos auf uns aufgepasst.
Etappe VII Zurück nach Europa
7. Dezember
Der Wind ist noch nen Tacken stärker geworden, Schaumkämme auf den Wellen, bis auf die Raucherecke sind die Außendecks gesperrt. Wir fahren aber gut stabilisiert einfach immer weiter Richtung Europa. Und beim Morgensport wieder dasselbe Thema. Beim Liegestütz werden einerseits die Wege beim Hochdrücken so lang, dass ich’s kaum halten kann. Und in die andere Richtung muss ich aufpassen, dass ich nicht in den Teppich beiße. Na, dann eben nur ein bisschen Dehnen und rauf auf die Maschine.
Beim Purser melde ich uns für das schnelle Ausschiffen in Southampton an. Wenn man sein Gepäck selbst von Bord mitnimmt, kann man als erster vom Schiff. 07.00 oder 07.30 Uhr. Wir nehmen gleich den ersten Termin – in London müssen wir ja nun einen Zug früher bekommen.
Wie das Von-Bord-Gehen mit all den anderen Passagieren hier wird – keine Ahnung. Offenbar ist dafür der gesamte Vormittag vorgesehen, da Shuttle-Busse nach London für 14.00 Uhr gebucht werden können. Da wollen wir schon im Zug unter dem Kanal sein. Aber wenn ich mir die Passagiere so angucke, dann wird das wohl so lange brauchen. Wie oft ich hinter irgendwem gehe und quasi in Vollbremsung gehen muss. Offenbar gibt es weder Alters- noch Fitnessbegrenzungen auf so’nem Kahn. Solange alles normal läuft – fein.
Aber wenn wirklich mal ein Notfall eintritt und alle in die Rettungsboote müssen, weiß ich nicht, wie das ausgeht. „Frauen und Kinder zuerst“ müsste eigentlich geändert werden. Angesichts der demografischen Probleme, die wir in der westlichen Welt haben, müsste es eigentlich nach „noch zu lebenden Jahren“ gehen. Also Kinder zuerst und dann alles unter 30, 40, 50 usw. Ist natürlich praktisch nicht machbar. Es sei denn, man bekommt beim Einchecken gleich ein unkaputtbares Armband mit der Farbe der eigenen Altersgruppe. Der einfachste Weg wäre vermutlich „Rette sich, wer kann.“ Aber auch das ist nicht opportun. Hoffen wir einfach darauf, dass auf ewig nix passiert.
Heute entdecke ich meine Podcasts wieder. Lesen macht müde, aber Kopfhörer auf die Ohren, aufs Meer geschaut und zuhören – das gefällt mir, während ich im „Commodore Club“ sitze. Wie nobel das schon klingt: „Commodore Club“. Der ist auf Etage 9 (von 13), in der Nähe der Brücke und eigentlich wohl für die besser zahlenden Passagiere der Decks 9-12 gedacht. Weiche Sessel, gedämpfte Stimmung, um die Ecke die Zigarrenlounge. Pfeife und Zigarre können hier gediegen im cremegelben Ledersessel gepafft werden, Zigarettenraucher hingegen müssen an die frische Luft.
Mit etwas Glück finde ich ein Plätzchen am Fenster, lasse mich in den breiten blauen Sessel sinken und schalte meinen Podcast an. Eine gute Stunde konzentriertes Zuhören, während die Wellen das Schiff leicht schaukeln lassen. Großartig. Eine Welle schafft es bis hoch in die 9., ich warte erwartungsvoll auf die nächste – da passiert aber nix mehr.
8. Dezember
Die Wellen haben keine Schaumkämme mehr, aber es schaukelt weiterhin ein wenig. Im Moment Windstärke 4 bis 5. Abends werden die Türen zum Außendeck aber wieder geschlossen sein. Der Sport gehört nun schon zur Routine, ein ordentliches Frühstück hinterher auch. Eier und Speck, Müsli, Pfannkuchen mit Blaubeerkonfitüre. Und geschnittenes Obst. Wenn man zu Hause ist, wünscht man sich immer einen Teller mit geschnittenem Obst im Kühlschrank, damit man bei Heißhunger nicht an die Süßigkeiten-Kiste geht. Wenn man dann endlich mal ein perfektes Buffet auch mit geschnittenem Obst hat, zieht es einen trotzdem immer noch zu den Süßigkeiten. Ist schon verrückt. Nach ein paar Tagen bin ich aber zumindest so weit, dass ich mir AUCH Obst nehme…
Den Tag verbringen Marta und ich dann – mal zusammen, mal getrennt – bei Vorträgen zu Reiseanekdoten (vom Autor der Simpsons), zum Kunstmarkt rund um Graffiti/Streetart und im Planetarium. Haben wir uns aus dem täglich wechselnden Programm rausgesucht. Hinterher gibt’s reichlich frische Luft an Deck, inklusive kurzem Schläfchen.
Abends ist heute Maskenball, da wird die Masse der Passagiere wieder das lange Schwarze und den guten Anzug oder gar Frack rausholen. Ich werde mir ein Glas Rotwein einschenken und ein wenig lesen. Letzteres hat auf der ganzen Reise – bis auf die Zeit hier an Bord – wieder nicht geklappt.
Etappe VII Zurück nach Europa
9. Dezember
Der letzte Tag an Bord. Sport, Frühstück, Uhr umstellen – wir sind nun auf britischer Zeit. Windstärke 7 bis 8. Noch nen Vortrag von einem ehemaligen US-Präsidentenberater, einen anderen zu Kunst. Die letzten Quizze. So lässt sich’s schon leben. Das hier ist eine All-inclusive-Reise auf ziemlich hohem Niveau. Wir haben uns zwölf Wochen in totaler Selbstorganisation mit all den Widrigkeiten der Welt herumgeschlagen. Hier kümmern sich plötzlich andere um alles, wir laufen nur rum und picken uns die Rosinen raus. Beim Essen. Beim Unterhaltungsprogramm. Beim Sport. Hat schon was.
Im Übrigen kann ich die wirklich Reichen nun auch in ihren Tagesabläufen besser verstehen. Wenn man morgens aus einem wunderbar gepolsterten Bett aufsteht, direkt ins voll ausgestattete Fitnessstudio geht, von dort unter die Regenschauer-Dusche und dann an einen komplett vorbereiteten Frühstückstisch mit all den gesunden Sachen – dann, ja dann kann man auch voller Energie mit klarem Kopf die Arbeit beginnen. Wer sich aber mit schiefem Hals von seinem zu festen Dinkel-Spelzen-Kissen und der Kaltschaummatratze erhebt, den Crosstrainer in der kalten Garage stehen hat, beim Duschen auf den Vorhang aufpassen muss, den Joghurt beim Einrühren ins Müsli verschüttet und morgens weder Zeit noch Lust hat, die Äpfel, Melone oder Ananas zu schälen, der hat vom Start weg schlechtere Karten. Allerdings sagt das alles nix über Zufriedenheit oder Erfolg im Leben aus. Aber angenehm, angenehm ist es allemal.
Beim kurzen Blick hinter die Kulissen sieht man aber auch, welcher Aufwand dahintersteckt. Auf ca. 2.500 Passagiere kommen ca. 1.200 Mann Bordpersonal. Und zwischen den beiden Doppelreihen Kabinen entlang der Außenhaut sind in der Mitte des Schiffes viele viele Meter Versorgungstrakt. Mit eigenen Aufzügen, eigener Logistik, eigenen Zugängen, eigenen Wäschereien, Großküchen usw. Jede Menge Leute überall. Irgendwo wird immer geputzt, repariert, gestrichen. Vor den Eingängen zum Buffet steht jeweils jemand mit ner Flasche Desinfektionsmittel in der Hand. Zu jeder Mahlzeit. Jeden Tag. An jedem der vier Buffetzugänge. Vielleicht ist das ja ein Strafjob. Finde das jedenfalls reichlich übertrieben und hab das schnell sein gelassen. Macht der Haut bestimmt keinen Spaß. Und wenn man das an Tag 1 und 2 macht – ok. Aber nach fünf Tagen auf dem Wasser – wo soll hier noch was Neues herkommen? Kein Hafen, kein Kontakt zur Außenwelt. Selbst Möwen gibt es nur, wenn man in der Nähe von Land ist.
Egal, für uns war diese Überfahrt der ursprünglich nicht unbedingt als Erholungsphase geplante Abschluss unserer Weltumrundung. Dass es so gekommen ist – super. Zudem hatten wir einen sonnigen Tag, drei stürmische und den Rest irgendwo mittendrin. Also auch das ganze Spektrum.
Morgen früh werden wir in Southampton sein und mit der ersten Gruppe das Schiff verlassen.
10. Dezember
06.00 Uhr klingelt der Wecker. Ziehe mich an, gehe schnell hoch ins Restaurant für ein kleines Frühstück. Und wundere mich, wieviel Leute schon auf den Beinen sind. Esse mein Müsli, nehme den Tee mit in die Kabine. Marta ist jetzt auch wach. Wir machen uns fertig, packen unsere Sachen und laufen in die Lobby. Niemand zu sehen. Ein Schild weist zur Gangway. Wir müssen unsere Bordkarte scannen und gehen von Bord. So unspektakulär ist das. Keine weitere Passkontrolle, wir laufen einfach an den Taxis vorbei auf die Straße. Sind schon wieder im alten Rhythmus.
Marta hat die Busverbindung und Bushaltestelle schon auf ihrem Handy, gute zwanzig Minuten Fußweg. Doch lieber Taxi? Immerhin weht ein kalter, scharfer Wind bei 6°C. Nee, so kurz vor Schluss machen wir weiter wie bisher. Unterwegs stehen wir einmal vor nem geschlossenen Tor. Zwei Hafenarbeiter helfen uns weiter – in tiefstem Akzent. Als wir an der Bushaltestelle sind, rollt gerade der Bus rein. Fünf Minuten, dann geht’s weiter. Fahrkarte können wir wieder durch einfaches Handy-Antippen kaufen, ein paar Minuten später sind wir am Bahnhof Southampton. Holen uns unser gebuchtes Ticket vom Automaten und setzen uns in den Starbucks gegenüber. Welcome back to Europe.
Die Fahrt von Southampton nach London geht schnell und ist pünktlich. Die Sitzabstände beim privaten Bahnunternehmen sind ab 1,85m Größe schwer auszuhalten, aber pünktlich ist wichtiger, weil wir nicht viel Puffer haben. In London klappt es mit den U-Bahnen ebenfalls, der Eurostar fährt pünktlich um 13.01 Uhr ab, wir stellen die Uhr nochmal eine Stunde vor, kommen in Brüssel an und sitzen um 17.25 Uhr in einem in Deutschland umgeleiteten und streckenverkürzten Eurostar nach Köln. Ankunft mit deutlicher Verspätung um 20.40 Uhr in Köln. Wir werden abgeholt, essen schnell was auf dem Weihnachtsmarkt am Dom, fahren nach Hause und fallen ins Bett.
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